Regina, eine Betroffene, erzählt:
Ich finde es sehr schwer mit Kritik umzugehen. Als ich mit meinem Studium begann, hatte ich große Angst, etwas falsch zu machen. Deshalb habe ich mich total verschlossen, nur um nicht kritisiert zu werden. Einmal mussten wir in der Gruppe einander Feedback geben. Ich war die einzige, die kein negatives Feedback kriegte. Jeder war der Meinung, dass ich lieb und ruhig bin.
Da wurde mir klar, dass mich eigentlich niemand aus der Gruppe kannte. Ich hatte mich durch meine Angst hinter einer Maske versteckt.
Eine Strategie, um anderen keinen Anlass für Kritik zu geben, ist die von Regina. Sie besteht darin, dass wir besonders lieb, höflich und angepasst sind - ja vielleicht sogar richtiggehend harmoniesüchtig sind. Wir haben Angst, uns zu öffnen, mit anderen ehrlich über unsere Gefühle und Gedanken zu sprechen und uns zu öffnen.
Das lässt uns einsam fühlen und wir bekommen keinen Trost und keine Hilfe. Wir stellen keine Forderungen und lassen uns vieles gefallen. Wir leugnen unsere Bedürfnisse und Wünsche oder verzichten auf deren Erfüllung. Wir äußern selbst keine Kritik und akzeptieren unpassendes oder unverschämtes Verhalten von anderen. Wir stimmen anderen immer zu und haben Angst, eine eigene Meinung zu vertreten.
Auf Dauer ist das sehr anstrengend, da wir uns ständig verstellen und verbiegen müssen. Noch schlimmer aber ist, dass wir einen hohen persönlichen Preis für unser Angepasstsein bezahlen: wir verlieren jegliche Achtung vor uns selbst und kommen uns als Schleimer vor.
Eine andere Strategie, um anderen keine Angriffsfläche für Kritik zu bieten, besteht darin, in allem perfekt sein zu wollen.
Wir wollen alles perfekt erledigen, uns perfekt kleiden, uns perfekt benehmen, perfekt aussehen, perfekt schminken. Wenn man alles perfekt macht, dann kann einen schließlich auch niemand kritisieren und ablehnen - so denken wir.
Das Fatale an dieser Strategie ist, dass wir durch unser Streben nach Perfektion meist auch Streicheleinheiten bekommen. Unser Perfektionsstreben wird also belohnt, gleichzeitig aber setzen wir uns unter einen enormen Druck, immer gut sein zu müssen, da wir sonst die anderen enttäuschen könnten. Die Folge sind oft Überforderung verbunden mit dem Risiko, an Burnout oder einer Zwangsstörung zu erkranken.
Eine weitere Strategie zum Schutz vor Kritik besteht darin, dass wir uns in die Graue-Maus Rolle begeben. Wir halten uns im Hintergrund, um nicht aufzufallen. Wer nicht auffällt, kann auch nicht kritisiert werden. Wir wagen nichts Neues, denn wer nichts tut, kann auch nicht versagen und dafür kritisiert werden.
Wir gehen Menschen aus dem Weg, die uns kritisieren könnten. Wir fragen andere nicht nach einem Feedback - wie sie etwas finden, das wir persönlich oder beruflich leisten - und bekommen so auch keine Anregungen und Verbesserungsvorschläge.
Die Angst vor Kritik wirkt sich auch darauf aus, wie wir mit uns selbst umgehen. Wir selbst sehen bestimmte Merkmale, Eigenschaften und Verhaltensweisen an uns als schlecht an und werten uns ab. Nach außen hin versuchen wir die Schwächen zu verbergen, um nicht von anderen dafür verurteilt zu werden.
Unsere Angst vor Kritik beeinflusst auch unseren Umgang mit Fehlern, die wir machen. Wir verheimlichen diese vielleicht, hüten diese wie ein Geheimnis und müssen deshalb immer Angst haben, andere könnten sie entdecken.
Vielleicht schieben wir anderen unsere Fehler in die Schuhe und ziehen uns so aus der Verantwortung. Ja, manche Menschen reagieren aggressiv, um von sich und ihren Fehlern abzulenken - nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung.
Und wie reagieren wir, wenn wir kritisiert wurden? Viele Menschen reagieren dann mit Ablehnung und Ärger gegenüber dem Kritisierenden. Sie meiden diese Person vielleicht oder schlagen bei nächstbester Gelegenheit zurück und zahlen es dem Kritisierenden heim, indem sie diesen bei anderen schlecht machen.
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