Fehler sind etwas, das wir vermeiden möchten. Doch Fehler sind menschlich und können uns weiterbringen. Dieser ABC-Beitrag zeigt, wie wir lernen können, unsere Fehler anzunehmen und zu tolerieren.
Fehler sind für viele von uns etwas, das wir unbedingt vermeiden möchten. Schon früh haben wir gelernt, dass Fehler „falsch“ sind. Und wehe, wir machen einen Fehler zweimal. Doch Fehler sind menschlich. Wer wir heute sind, wären wir nicht, wenn wir nicht auch Mut zu Fehlern gehabt hätten. Unsere Fehlertoleranz sagt etwas darüber aus, wie sehr wir Fehler annehmen oder tolerieren, und wie wir mit Fehlern bei uns oder anderen umgehen. In der Fehlertoleranz liegt verborgenes Potenzial.
Was ein Fehler ist, wird durch gesellschaftliche oder persönliche Regeln oder Erwartungen definiert. Ein Fehler ist etwas, das wir am liebsten ungeschehen machen möchten, etwas, das wir selbst oder andere als „falsch“ erachten, etwas, das wir so nicht wollten oder möchten, etwas, das anders herausgekommen ist als gewünscht.
Wir haben etwas getan oder unterlassen oder beobachten etwas bei anderen, was wir nicht gut finden und vielleicht auch mit negativen Konsequenzen für uns oder andere verbinden. Was für die einen eine Katastrophe ist, ist für die anderen wiederum eine Lappalie: Wir haben z.B. vergessen, unserer guten Freundin oder unserem guten Freund zum Geburtstag zu gratulieren, wir sind zu einem wichtigen Treffen zu spät gekommen, wir haben uns mit dem Partner oder der Partnerin gestritten, wir sind zu spät ins Bett gegangen und deswegen nicht ausgeruht, wir haben eine wichtige Gelegenheit nicht wahrgenommen. Oder wir beobachten Fehler bei anderen: Immer ist er oder sie so grob, immer hat er oder sie diesen Tick, warum hat er oder sie mich stehenlassen oder ignoriert etc.
Wenn wir selbst einen Fehler gemacht haben, erleben wir möglicherweise Schuldgefühle. Wir waren in einem bestimmten Moment z.B. nicht stark genug, nein zu sagen, obwohl wir spürten, dass wir etwas nicht möchten. Es fällt uns schwer, uns diesen Fehler selbst zu verzeihen – natürlich umso mehr, je gravierender er uns vorkommt. Vielleicht wurden wir daraufhin „bestraft“, vielleicht hat sich jemand in der Folge von uns abgewandt. Unser schlechtes Gewissen meldet sich.
Wenn wir einen Fehler bei anderen erkennen, kann es sein, dass wir wiederum ein schlechtes Gewissen vermitteln: „Wie konntest du das tun?“ hören wir uns dann sagen, oder „Lass das!“ oder „Das möchte ich nie wieder erleben.“
So wurden wir als Kind vielleicht selbst überbehütet oder kontrolliert, und zeigen heute selbst ein ähnliches Verhalten. Wir vermeiden Fehler, wo wir können, um negativen Konsequenzen zu entgehen, und halten andere vielleicht dazu an, vorsichtig zu sein. Das kann zu einem Leben mit angezogener Handbremse führen und Angst vor Misserfolg schüren.
Wenn wir hingegen tolerant gegenüber Fehlern sind, können wir leichter unsere Fehlbarkeit und die von anderen akzeptieren. Zum Beispiel in einem Unternehmen mit einer transparenten und offen gelebten Fehlerkultur, fällt es leichter, Missstände oder eigene Misserfolge zuzugestehen und daraus zu lernen.
Wenn wir Fehler bei unseren Kindern in der Schule oder zuhause nicht als Versagen, sondern als Lernschritt erkennen, werden wir sie mit einem anderen „Fehlerbewusstsein“ großziehen, als wenn wir Fehler als etwas „Schlimmes“ weitergeben. Wenn wir wissen, dass wir in unseren persönlichen Beziehungen sicher aufgehoben sind, auch oder gerade weil wir nicht perfekt sind, können wir uns freier entfalten und in Fettnäpfchen tappen, ohne uns dafür jedes Mal erklären oder entschuldigen zu müssen.
Selbstverständlich geht es nicht darum, Fehler zu glorifizieren, schon gar nicht, wenn es sich um solche handelt, die uns oder anderen tatsächlich schaden. Gleichzeitig ist es wichtig zu erkennen, dass Fehler uns weiterbringen können.
Als Menschen sind wir nicht in allem perfekt. Gerade das macht uns aus und liebenswert. Beobachten wir andere, die offen zu ihren vermeintlichen Schwächen und Fehlern stehen, bewundern wir sie für ihren Mut. Wir finden zu uns selbst zurück, wenn wir ja zu uns sagen – mit allem, was uns auszeichnet, mit unserer Geschichte, mit unseren Fehlern und Schwächen. Und dann sagen wir auch leichter ja zu anderen.
Wir können Missgeschicken, Niederlagen, Schwächen oder auch Verletzungen eine andere Bedeutung geben. Wenn wir z.B. einen beruflichen Misserfolg erleiden, kann es sein, dass sich neue Türen öffnen, um zu etwas noch viel Passenderem zu finden. Wenn eine Freundschaft zu Ende geht, weil sich zwei Menschen nicht mehr viel zu sagen hatten, warten vielleicht viel freudvollere Kontakte auf sie. Wenn wir verletzend waren, ohne es sein zu wollen, ist das ein Aufruf an uns, empathischer und aufmerksamer zu sein. Wenn wir uns selbst nichts Gutes tun, ist es Zeit für mehr Selbstpflege. Wenn wir überarbeitet sind und bei der Arbeit unkonzentriert werden, bedeutet das, dass wir eine Pause brauchen. Wenn wir andere auf uns herumtrampeln lassen, dann heißt das, dass wir uns besser abgrenzen müssen. Wenn unser berufliches Projekt scheitert, dürfen wir es verändern, bis es für uns handhabbarer wird. Fehler beherbergen verborgenes Potenzial, wenn wir sie in anderem Licht sehen können.
Wenn wir toleranter gegenüber Fehlern sind und schätzen, was wir gemeistert haben und meistern können, gehen wir gestärkt und mit größerem Wissen voran. Wir haben erfahren, was gut für uns und andere ist, und was nicht – auch, weil nicht immer alles glatt lief. Das wiederum ermöglicht es uns, mit neuen Erkenntnissen weiterzugehen. Wir gehen dann angstfreier durchs Leben, wir trauen uns mehr zu. Dadurch werden wir mutiger und können andere auf ihrem Weg Mut zusprechen.
Wenn wir nur sehen, wo wir oder andere einen Fehler gemacht haben, übersehen wir, was alles richtig gemacht wurde. Das führt zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität bzw. lenkt den Fokus auf das, was nicht funktioniert. Stattdessen können wir lernen, unseren Blickwinkel zu erweitern, um das Gesamtbild zu sehen.
Mit diesen fünf Beispielschritten können wir mehr Fehlertoleranz entwickeln, um die kleinen oder größeren alltäglichen Fehltritte als Bestandteil unseres Lebens zu akzeptieren und in eine Lernmöglichkeit zu verwandeln.
Wenn wir Fehler machen, neigen wir dazu, uns als Opfer zu sehen. Wir machen uns klein und nieder, weil uns etwas nicht gelungen ist. Wir verharren vielleicht im „Jammertal“. Wir sagen uns vielleicht Sätze wie „immer ich“ oder „war ja klar“, unser innerer Kritiker kann sich voll ausleben.
Das hindert uns allerdings daran, wirklich aus einem Fehler zu lernen und es das nächste Mal besser oder anders zu machen. Übernehmen wir hingegen Selbstverantwortung, ist es uns möglich, die heilsame Wirkung von Fehlern zuzulassen und Fehler als Lernchance zu nutzen. Wenn uns jemand z.B. auf einen Fehler aufmerksam macht, können wir lernen, die Kritik aufzufangen wie einen Ball, ihn betrachten, das für uns mitnehmen, was auf uns wirkt, und den Ball dann wieder beiseitelegen.
Wer sagt, dass alles glatt laufen muss? Wenn wir offen für unterschiedliche Ergebnisse sind, haben wir weniger das Bedürfnis, sie zu kontrollieren. Es kann sein, dass wir eine sehr gute Absicht hatten, alles gegeben haben und dennoch nicht das erwünschte Ergebnis erzielt haben. Das mögen wir dann als Fehler interpretieren und uns fragen, ob wir mit einer anderen Herangehensweise auch ein anderes Ergebnis erzielt hätten. Denken wir z.B. daran, dass wir jemandem ein schönes Geschenk machen wollten, das Geschenk dann aber nicht gefiel, und wir uns in der Folge dafür beschuldigen, warum wir nichts anderes geschenkt haben. Diese Art von Unkontrollierbarkeit zu akzeptieren, kann uns helfen, die Dinge gelassener zu sehen.
Statt uns oder andere für einen Fehler zu verurteilen, können wir lernen zu vergeben, dass wir oder andere es nicht besser wussten. Auch wenn andere uns das Gefühl geben, dass wir etwas nicht richtig gemacht haben, können wir zu uns halten und dem Sturm trotzen. Wir können uns bewusst in Nachsicht und Milde uns und anderen gegenüber üben und uns auf das Positive konzentrieren. Wenn wir uns also bei Selbstverurteilungen erwischen oder dabei mit dem Finger auf andere zeigen, erinnern wir uns daran, dass wir alle Liebe und Mitgefühl verdienen, auch oder gerade in schwierigen Momenten.
Auch wenn wir das Gefühl haben, einen Fehler nicht mehr gutmachen zu können, kann uns Zuversicht helfen, dass wir eines Tages mit Nachsicht und Milde auf diese Zeit zurückblicken. Sich mit anderen über mögliche Fehltritte auszutauschen kann helfen, sie zu relativieren und ihnen die Schwere nehmen. Wir können uns so ermutigen lassen und selbst an einer zuversichtlichen Grundeinstellung arbeiten. Zuversicht hilft uns, unseren Weg mutig weiterzugehen, auch wenn er zwischendurch steinig ist und wir am liebsten aufgeben möchten.
Ein gutes „Training“ für mehr Fehlertoleranz ist die Bereitschaft, selbst Fehler zu machen. Wir können in einzelnen Dingen mal bewusst und kalkuliert die Handbremse lockerer lassen und schauen, was passiert.
Statt das Gefühl zu haben, dass wir uns mit einem neuen Projekt blamieren, mag darin unsere Erfolgsformel liegen. Statt einen Kontakt nicht wiederaufzunehmen, kann daraus (wieder) eine enge Verbindung werden. Statt uns zu rechtfertigen, können wir lernen, die Meinung anderer so stehenzulassen. Statt uns niederzumachen, können wir uns gut zureden. Statt uns schuldig zu fühlen, können wir zu unseren Bedürfnissen stehen. Statt nichts zu sagen, können wir genau aussprechen, was wir sagen möchten. Wir können also bewusst neue Wege einschlagen und unser Lernfeld erweitern.
„Unser größter Ruhm ist nicht, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen.“
Nelson Mandela
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