Die Ursachen einer geringen Selbstachtung und eines geringen Selbstwertgefühls. Dieser Beitrag, ein Auszug aus Rolf Merkles Ratgeber „So gewinnen Sie mehr Selbstverrtrauen“, zeigt Zusammenhänge und Hintergründe auf.
Leseprobe Kapitel 3 Ratgeber Selbstvertrauen
Du bist nicht mit einer geringen Selbstachtung und Minderwertigkeitsgefühlen auf die Welt gekommen. Diese hast du dir angeeignet. Du hast gelernt, geringschätzig von dir zu denken.
Wie kam es dazu? Es waren deine Erfahrungen im Elternhaus in den ersten 7 Lebensjahren und später vielleicht Erfahrungen mit Gleichaltrigen, die dazu geführt haben, dass du den Eindruck hast, nicht in Ordnung zu sein. Was für Erfahrungen waren das, die in dir das Gefühl entstehen ließen, nicht in Ordnung zu sein?
Erfahrungen im Elternhaus
Wenn wir klein sind, glauben wir unseren Eltern alles, was diese sagen. Eltern sind für Kinder das, was der Papst für viele Gläubigen ist: unfehlbar. Was die Eltern sagen und tun, sie wissen es besser. Wenn diese sagen, etwas sei schlecht, dann ist es schlecht. Wie sollen kleine Kinder auch wissen, was gut und schlecht, richtig und falsch ist? Das lernen sie erst durch die Eltern.
Weil Kinder in den ersten Lebensjahren es nicht besser wissen und die Eltern für unfehlbar halten, nehmen Kinder grundsätzlich an, sie hätten etwas falsch gemacht und hätten es verdient, wenn sie durch Worte oder abweisendes und missbilligendes Verhalten bestraft und getadelt werden.
Hinzu kommt, dass Kinder instinktiv wissen, nicht ohne ihre Eltern leben und überleben zu können. Deshalb ist es für sie besonders wichtig, es sich nicht mit den Eltern zu verscherzen. Haben Kinder das Gefühl, aufgrund ihres Verhaltens nicht mehr gemocht zu werden, dann erleben sie die emotionale Ablehnung ihrer Eltern als lebensbedrohlich. Sie nehmen sich deshalb die Worte der Eltern zu Herzen und übernehmen deren Regeln als vorbeugende Maßnahme gegen weitere Ablehnung.
Dies ist die Geburtsstunde des inneren Kritikers. Um der Ablehnung und der Bestrafung durch die Eltern zu entgehen, verinnerlichen Kinder die Gebote, Verbote und Regeln. Sie sagen sich selbst: Das tut man nicht. Das sagt man nicht. Das ist schlecht. So wie die Eltern uns verbal bestraften, lernen wir, uns selbst zu bestrafen, wenn wir uns falsch verhalten oder schlecht benehmen. Das bedeutet:
Unser Kritiker ist in den ersten Lebensjahren eine sinnvolle Einrichtung. Er sichert die Zuneigung der Eltern und damit unser Überleben.
Diese Verinnerlichung der Regeln und Verbote ist nicht das eigentliche Problem. Regeln führen nicht zu Selbstablehnung und Minderwertigkeitsgefühlen. Zum Problem wurde die Beurteilung unseres Verhaltens als richtig und falsch, gut und schlecht, erst, als wir und unsere Eltern einen folgenschweren Fehler begingen.
Du bist, was du tust.
Dieser Fehler bestand darin, unser Verhalten mit unserer Person und unserem Wert als Mensch gleichzusetzen. Tue ich etwas Schlechtes, dann bin ich als Mensch schlecht. Tue ich etwas Verwerfliches, dann bin ich als Mensch verwerflich. Tue ich etwas Unmoralisches, dann bin ich ein unmoralischer Mensch. Tue ich etwas Blödes oder Dummes, dann bin ich blöd und dumm. Mache ich etwas verkehrt, dann bin ich als Mensch nicht in Ordnung. Bin ich ängstlich, dann bin ich ein Feigling. Mache ich etwas falsch, dann bin ich als Mensch fehler- und mangelhaft.
Wir setzten unser Verhalten also mit unserer Person gleich:
Ich bin gut, wenn ich etwas Gutes tue. Ich bin schlecht, wenn ich etwas Schlechtes tue – dachten wir.
An dieser unglücklichen Schlussfolgerung waren unsere Eltern maßgeblich beteiligt. Wir gelangten zu dieser Schlussfolgerung aufgrund von Worten wie den folgenden:
„Was hast du dir nur dabei gedacht?“, „Aus dir wird nie etwas werden.“, „Mit dir hat man nichts als Ärger.“, „Dumme Gans.“, „Mit dir muss man sich schämen.“, „Du bist ein Tollpatsch.“, „Du bist ein Versager.“, „Du bist wohl nicht ganz bei Verstand.“, „Du bist stinkfaul.“, „Wie kann man nur…?“, „Kannst du auch mal zur Abwechslung was richtig machen?“, „Du machst mich verrückt.“, „Wie kann man nur so blöd sein?“, „Was soll nur aus dir werden?“, „Du bist undankbar.“, „Du bringst mich noch ins Grab.“, „Ja, spinnst du jetzt?“, „Ich fass es nicht; du bist wohl nicht ganz bei Verstand.“, „Du bist ein böses Kind.“
Wenn du als Kind in den ersten 7 Lebensjahren häufig mit solchen Worten kritisiert wurdest, dann hast du daraus gefolgert, als Junge oder Mädchen nicht in Ordnung zu sein. Du dachtest dir: „Etwas muss mit mir nicht in Ordnung sein. Warum sonst sollten meine Eltern so mit mir reden? Wäre ich in Ordnung und liebenswert, dann würden sie mich doch lieb haben. Folglich bin ich nicht gut genug und nicht liebenswert.“
Diese falsche Schlussfolgerung ist die Grundlage der Selbstablehnung unserer gesamten Person und damit unserer Minderwertigkeitsgefühle. Es ist diese Verknüpfung unseres Verhaltens mit dem Wert unserer Person, die dazu führte, dass der Kritiker in uns heute einen so großen Schaden in unserem Leben anrichtet.
Wir haben gelernt, dass bestimmte Bedürfnisse, Verhaltensweisen oder Gefühle schlecht sind und wir schlecht sind, wenn wir diese Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Gefühle haben.
Wenn du überzeugt bist, schlecht zu sein – und schlecht sein gleichbedeutend ist mit unvollkommen sein – dann kannst du dich erst annehmen und akzeptieren, wenn du vollkommen bist. Solange du unvollkommen bist, bist du minderwertig. Klingt logisch, oder?
Dein Kritiker hat diese Regel verinnerlicht. Da du nie vollkommen bist und es nie sein wirst, gleichgültig, wie sehr du dich anstrengst, ist er deshalb auch nie mit dir zufrieden. Und deshalb gibt er dir ständig das Gefühl, nicht in Ordnung und minderwertig zu sein. Was deinen Selbsthass verstärken kann:
Du willst nicht wie deine Eltern sein.
Du willst vielleicht gar nicht so sein, wie dich deine Eltern haben wollten. Du teilst nicht deren Auffassungen vom „richtigen“ Leben. Du hast andere Bedürfnisse und Wünsche als deine Eltern. Du setzt andere Prioritäten als deine Eltern. Du hast andere Moralvorstellungen als deine Eltern. Du willst kein Abziehbild deiner Eltern sein. Und überhaupt: Jetzt bist du erwachsen und darfst selbst entscheiden, was richtig und falsch, gut und schlecht für dich ist.
Das Problem dabei: Dein Kritiker zeigt dir sofort die rote Karte, wenn du nach deinen eigenen Regeln lebst und gegen die Regeln der Eltern verstößt. Er macht dir ein schlechtes Gewissen, wenn du eigene Regeln aufstellst und dein Leben so lebst, wie du es für richtig hältst. Er sagt dir: „Du solltest nicht (…). Du solltest stattdessen (…).“ und gibt dir das Gefühl, etwas Unrechtes zu tun.
Dein Kritiker denkt immer noch, er müsse dich beschützen und vor Unheil – sprich Ablehnung und Liebesentzug – bewahren. Irgendjemand hat es offensichtlich versäumt, deinem Kritiker klarzumachen, dass er heute – im Gegensatz zu früher, als du noch klein warst – nicht mehr hilfreich ist. Es wird also höchste Zeit, dass du ihm das klarmachst.
„Nur wenn du lieb bist, habe ich dich auch lieb.“
Eltern wissen in der Regel sehr genau, dass für Kinder nichts wichtiger ist als Liebe und Zuwendung. Von diesem Wissen machten sie bewusst oder unbewusst Gebrauch. Sie machten ihre Liebe zu uns von der Erfüllung ihrer Forderungen abhängig.
Vielleicht hast du dir in deiner Kindheit oft anhören müssen: „Ich mag dich nicht, wenn du so unartig bist.“, „Solange du dir deine Haare nicht schneiden lässt, bist du bei mir unten durch.“, „Ich habe dich lieb, wenn du deine Schulaufgaben machst.“, „Sei ein lieber Junge und iss deinen Teller leer.“
Die versteckte Botschaft in diesen Worten war: „Nur wenn du artig bist, dann mag ich dich. Nur wenn du dir deine Haare schneiden lässt, dann mag ich dich. Wenn du deine Aufgaben nicht machst, habe ich dich nicht lieb. Wenn du deinen Teller nicht leer isst, dann bist du kein lieber Junge.“
Durch die Androhung, dir ihre Liebe zu entziehen, wollten sie erreichen, dass du das tust, was sie für dich für das Beste hielten. Um bei ihnen nicht in Ungnade zu fallen, tatest du in der Regel, was sie von dir verlangten.
Du hast dadurch zweierlei gelernt:
Du hast gelernt, deinen Selbstwert von anderen abhängig zu machen.
Deshalb buhlen wir als Erwachsene um die Liebe und Anerkennung der anderen. Wir tun vieles nur, um andere zufrieden zu stellen und bei guter Laune zu halten. Wir sagen Ja, obwohl wir Nein sagen möchten, sagen nichts um des lieben Friedens willen, und wir unterdrücken eigene Bedürfnisse und Wünsche. Wir haben Angst, unsere Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen, da wir damit bei anderen in Ungnade fallen könnten.
Ringen wir uns einmal durch, das zu tun, was wir möchten, dann haben wir ein schlechtes Gewissen und fühlen uns wie ein Schwerverbrecher, auch wenn unser Verstand sagt, dass es verdammt nochmal unser gutes Recht ist, zu tun, was wir möchten.
>>> mehr darüber im Ratgeber Selbstvertrauen.
Weitere Leseproben
Kapitel 2
Die Folgen einer geringen Selbstachtung
Kapitel 4
Von Selbstachtung zu Selbstliebe
Kapitel 5
Dein Kritiker – ein Freund oder Feind?
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