Ist unsere seelische Verwundbarkeit vererbt? Warum fühlen wir uns gekränkt? Leseprobe aus Kapitel 3 des Ratgebers "Ab heute kränkt mich niemand mehr"
Ist Ihnen der Vorwurf vertraut, dass Sie zu empfindlich oder gar hysterisch seien? Sie würden alles gleich in den falschen Hals bekommen, jedes Wort auf die Goldwaage legen, sofort alles persönlich nehmen und aus jeder Mücke einen Elefanten machen?
Kennen Sie den coolen Kommentar Ihres Gegenübers: "Jetzt hab dich nicht so. Da muss man doch nicht gleich die beleidigte Leberwurst spielen"? Wie soll man auf solche Kommentare reagieren?
Ich selbst habe reichlich Erfahrung mit solchen Vorwürfen und lasse mich zu den unterschiedlichsten Reaktionen hinreißen. Manchmal streite ich es ab, überhaupt verletzt und beleidigt zu sein.
Manchmal gehe ich zum Angriff über, gebe meinem Gegenüber die Schuld und lasse mich auf Diskussionen ein: Hätte er in einem anderen Tonfall mit mir gesprochen, dann wäre ich auch nicht verletzt.
Überhaupt ist er derjenige, der taktlos und herzlos ist. Er muss doch wissen, dass so ein Verhalten kränkt. Er muss sich ändern, dann geht es mir wieder gut. Wenn er sich nicht mehr so rücksichtslos verhält, dann werde ich auch nicht mehr getroffen und empfindlich reagieren.
Manchmal ziehe ich mich aber auch trotzig in mich zurück begleitet von dem Selbstvorwurf, zu empfindlich zu sein.
In mir nagt der Zweifel, dass mit mir doch grundsätzlich etwas nicht stimme. Ich gehe mit mir ins Gericht, warum ich denn immer gleich so überreagieren müsse, und schäme mich für mein Verhalten.
Sie haben zu diesem Buch gegriffen und zählen sich wahrscheinlich auch nicht zu den beneidenswerten "dickhäutigen" Menschen, die in sich ruhen und nur schwer aus dem Gleichgewicht zu bringen sind.
Aber Vorsicht mit Neidgefühlen, nicht jeder, der dickhäutig wirkt, ist auch wirklich dickhäutig. Manche Menschen wirken nach außen hin nur so und können sich gut tarnen.
Sie reißen sich zusammen, weil sie glauben, wenn sie auch noch zugeben würden, dass sie sich getroffen fühlen, dann wären sie noch verwundbarer.
Da wir nicht in sie hineinsehen können, erliegen wir der Illusion, dass sie durch nichts zu erschüttern sind.
Doch gibt es in der Tat Menschen, die wenig verwundbar sind und wie ein Fels in der Brandung stehen.
An ihnen prallt nahezu jede Kritik und jede Nichtbeachtung ab wie ein fetter Regentropfen an einer dichten Regenhaut.
Manchmal bewundern wir auch die Menschen, die sofort schlagfertig reagieren und "sich nichts einschenken" lassen - Menschen, die dem anderen gleich ordentlich den Zahn ziehen und sagen, wo es lang geht und was ihnen nicht paßt.
Doch auch dieses aggressive Verhalten ist kein sicheres Zeichen für eine geringe Verwundbarkeit. Im Gegenteil, wer sich heftig verteidigt, fühlt sich zuvor in bestimmter Weise angegriffen.
Woher kommt nun aber unsere Empfindlichkeit? In den letzten Jahren mehren sich die Hinweise darauf, dass ein dickes Fell zum Teil auch angeboren ist.
Manche Menschen werden mit einer erhöhten Reaktionsbereitschaft geboren werden, andere wiederum nicht.
Menschen mit einer erhöhten Reaktionsbereitschaft reagieren schneller und heftiger auf Stress und Veränderungen. Sie haben gleichzeitig mehr Schwierigkeiten, sich an neue Situationen anzupassen.
Auch beim Erlernen von Bewältigungsstrategien tun sie sich schwerer. Sie reagieren zudem schneller mit körperlichen Symptomen wie Herzrasen oder Muskelanspannung.
Nun können wir nichts dafür, - und leider auch nichts daran ändern - welche genetische Ausstattung wir mitbekommen haben.
Doch bedeutet dies auf gar keinen Fall, dass wir damit leben müssen, "eine Mimose " oder "ein unerschütterlicher Eichbaum" zu sein.
Auch Mimosen können gut gedeihen, wenn man ihnen optimale Bedingungen bietet.
Außerdem besitzt die Mimose ein großartiges Schutzsystem: Sie zieht bei Gefahr ihre Blätter zusammen, macht sich kleiner. Ist die Gefahr vorbei, entfaltet sie ihre Blätter wieder.
Und Mimosen erbringen darüber hinaus einen einzigartigen Beitrag zu der Vielfalt der Pflanzenwelt!
Lassen Sie uns deshalb danach suchen, wie Mimosen sich optimal entfalten können. Es gibt Wege, wie wir uns als Mimosen daran erfreuen können, sensibel für unsere Umwelt zu sein, und uns nicht wegen unserer Empfindlichkeit unsere Daseinsberechtigung absprechen müssen.
Es gibt Wege, wie wir uns schützen und auch einem kräftigen Sturm überstehen können. Ja, es kann uns sogar gelingen, etwas Positives im Sturm zu entdecken - z.B. dass er uns dabei hilft, geschmeidig zu bleiben und uns zu stärken.
Gott sei Dank sind wir Menschen so geschaffen und konstruiert, dass wir kein Opfer unserer Vererbung sind. Die Natur hat es so eingerichtet, dass es auch für uns Wege gibt, unseren "Trainingspartnern" und vermeintlichen Feinden zu trotzen.
Wir können unser seelisches und körperliches Gleichgewicht auf vielfältige Weise beeinflussen. Wir können unsere Gedanken, unsere Gefühle, viele unserer Körperreaktionen und unser Verhalten steuern.
Auch wenn wir bisher immer wieder in denselben Situationen an unserem wunden Punkt getroffen wurden und verletzt reagiert haben, ist dies kein Beweis dafür, dass wir in der Zukunft immer so reagieren müssen.
Auch wenn wir gewöhnt sind, uns in ganz bestimmter Art und Weise zu verhalten, können wir neue hilfreichere Gewohnheiten entwickeln. Wie wir unsere Verwundbarkeit überhaupt beeinflussen, damit wollen wir uns nun befassen.
>>> Weiterlesen im Ratgeber Ab heute kränkt mich niemand mehr
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