Auf der Suche nach Genuss im Leben stolpern viele Menschen oft über tiefsitzende Genussblockaden. Zu genießen müssen wir alle erst lernen. Dieser Beitrag der Serie "Erfahrungen aus der Praxis" zeigt dir die 7 goldenen Regeln für mehr Genuss.
„Wer nicht genießt, ist ungenießbar!“
So sang schon 1978 der Liedermacher Konstantin Wecker. Doch nicht nur das ist wahr. Wer vor dem Hintergrund eines freudlosen, von To-do-Listen gesteuerten Lebens für andere zum Grantler oder Miesepeter geworden ist, wird früher oder später auch für sich selbst zum Problem.
Depressive Episoden sind gekennzeichnet durch die Unfähigkeit zu genießen und Lebensfreude zu empfinden. Ausreichend zu genießen wiederum, stellt einen der besten Schutzfaktoren für Lebensfreude dar. Wenn Menschen zu mir in die Sprechstunde kommen, weil sie sich schwermütig und freudlos fühlen, erkunden wir zuerst gemeinsam, wie genüssliches, wohltuendes Verhalten und Erleben gesteigert werden kann, um dadurch die Lebensfreude zu erhöhen. Auf der Suche danach stolpern wir jedoch sehr oft über tiefsitzende Genussblockaden.
Eine davon findet sich besonders häufig: Auf die ein oder andere Art und Weise scheinen viele Menschen eine Variation in sich zu tragen von Karl Valentins berühmten Satz:
„Tun hätt´ ich schon gewollt, dürfen hab´ ich mich nicht getraut.“
Genuss zu genießen will in vielen Fällen also erst einmal gelernt sein.
Ich selbst hatte bereits 1983 das Glück, bei meiner Kollegin, der Expertin für Genuss-Schulungen, Eva Koppenhöfer, diesbezüglich viel dazuzulernen, und freue mich jedes Mal wieder, ihre Forschungsergebnisse an meine Klientinnen und Klienten weiterzugeben. Und so auch hier mit großer Freude von mir für dich, die sieben bewährtesten Strategien, die dir dabei helfen zu lernen Genuss zu genießen.
Ja, du darfst dir Genuss erlauben. Egal, wie tief deine unguten Grundüberzeugungen auch in dir eingewurzelt sein mögen und dich bisher am Genießen gehindert haben, vergiss nie den Spruch: Dein Kopf ist rund, damit die Gedanken ihre Richtung ändern können.
Deine Eltern haben dir aus ihrer Erfahrung heraus (oder weil ihnen das vielleicht selbst eingetrichtert wurde) und in bester Absicht Sätze mit auf den Weg gegeben wie: "Erst die Arbeit, dann das Spiel." Fühl dich dennoch frei, mit solchen inneren, Lebensfreude verhindernden Gedanken spielerisch umzugehen. Schau, was dich schmunzeln lässt, was dir selbst stimmiger erscheint. Wie wäre es mit: "Nur wer genügend spielt, kann gut arbeiten." Oder probiere aus, wie es sich für dich anfühlt zu denken: "Je spielerischer ich zu arbeiten vermag, umso besser wird das Ergebnis werden." Oder: "Spielerisch begonnen ist halb gewonnen." Oder: "..."
Spiel mit den unguten vermeintlichen Überlebensregeln, spiel mit deinen irrationalen Grundüberzeugungen, den dysfunktionalen Glaubenssätzen, den strengen Lebensfreude- Verhinderungsgedanken in dir, den inneren Antreibern und Antreiberinnen oder Kritikern und Kritikerinnen – wie auch immer du diese Gedanken und Überzeugungen nennen magst, die deinem Genuss im Wege stehen, bis es sich für dich passend anfühlt. Gesunde neue Gedanken und Überzeugungen hast du dann gefunden, wenn deine Zellen zu singen beginnen:
"Ja, Ja, Ja, ich darf mir Genuss erlauben!"
Und dann erlaube dir, genüsslich danach zu handeln. Gönne dir leichten Herzens alles, was dir guttut: Speisen, die den Körper nicht schwer und den Geist nicht stumpf machen; Kontakt mit Menschen, mit denen du singen, reden, schweigen, tanzen, schmusen, leben, lieben, lachen kannst; alleine über den Flohmarkt schlendern; mit deinem Hund oder deiner Katze spielen … Kurzum: Gönne dir jeden Tag mit bestem Gewissen, ausreichend viele unbeschwerte Zufriedenheitserlebnissen genießen zu dürfen.
Ja, du darfst dir die Zeit nehmen zu genießen. Ja, Genuss braucht Zeit. Und dabei ist es egal, ob dies bedeutet, nur einen tiefen Atemzug zu nehmen von der Rose, die so schön und duftend in der Vase vor dir steht. Oder den nächsten Schluck, den du aus deiner Kaffeetasse nimmst, ganz bewusst! Fünf Sekunden – der volle Genuss deines Schluck Kaffees. Ja, Genuss braucht Zeit, egal auf welcher Ebene er stattfindet. Gib dir selbst immer wieder die Erlaubnis, dir diese Zeit zum Genießen zu nehmen. Und vergiss dabei nie: Du bist die Meisterin deiner Lebenszeit, du bist der Meister deiner Zeit. Niemand außer du selbst bestimmt, wofür du dir hier und jetzt Zeit nimmst. Nimm dir immer wieder Zeit zu genießen.
Gib dir auch diese Selbsterlaubnis: Ja, ich entscheide mich ab jetzt, jeden Genuss bewusst zu genießen.
Genuss geht nicht nebenbei. Das eine zu tun und in Gedanken schon beim anderen sein, bedeutet, dich selbst um den Genuss zu betrügen, der hier und jetzt gerade stattfindet. Etwas zu essen und zu erzählen, was du irgendwann irgendwo gegessen hast oder noch vorhast, irgendwann irgendwo zu essen, ist schade um den Genuss, der dir mit der Speise möglich ist, die du gerade isst. In Japan gibt es nicht umsonst die Tischregel schweigend und bewusst zu essen oder aber nur über das Essen zu sprechen, was du jetzt im Moment noch auf der Zunge spürst – nicht über irgendein anderes Essen.
Und wenn du deine Genussfähigkeit noch steigern und erfahren möchtest, wie viel mehr Genuss für dich möglich ist, dann probiere bei deiner nächsten Mahlzeit einmal folgendes:
Beobachte, wie die Gabel nach vorne geht und eine Nudel in deinen Mund befördert. Anstatt nun, wie sonst, die Gabel, während du noch kaust und die Nudel genießt, bereits wieder nach vorne wandern zu lassen, um z. B. eine Scheibe Zucchini aufzugabeln, bleibst du mit aller Aufmerksamkeit bei dieser Nudel, bis du sie zu Ende gekostet hast. Wenn du erst dann die Gabel in Bewegung setzt, um die lecker zubereitete Zucchini in deinen Mund zu führen, erhält diese ebenso deine volle Aufmerksamkeit und kann ihre ganze Köstlichkeit entfalten. Auf diese Weise beendest du die Selbstablenkung durch die nächste „Lieferung“ auf der Gabel. Deine Aufmerksamkeit wird nicht mehr abgelenkt von dem, was sich eigentlich gerade genüsslich in deinem Mund befindet. Du bleibst vollkommen mit deiner Aufmerksamkeit beim aktuellen Genuss in deinem Mund.
Deine Freundin mag vielleicht am liebsten süßes Popcorn. Du dagegen genießt das salzige. Im Winter liebst du es, so viel wie möglich draußen zu sein, im Sommer eher nicht – oder auch umgekehrt. Was du wann und wo und mit wem wirklich genießen kannst und was nicht, das weißt nur du. Erlaube dir in jeder Situation zu spüren, was dir jetzt guttut.
Beim Genuss gibt es ein feines Spiel. Weniger ist ganz oft mehr. In Frankreich gibt es die beiden sehr ähnlich klingenden Worte Gourmet und Gourmand. Der Gourmet, der Feinschmecker, lässt sich den Essensgenuss im wahrsten Sinne des Wortes langsam und in kleinen Bissen auf der Zunge zergehen – Genüsslichkeit pur. Der Gourmand dagegen, der Vielfraß, ist davon weit entfernt.
Dass weniger mehr ist, hast du sicherlich bereits in anderen Situationen erlebt. Wenn du dir z. B. bei einer Ausstellung einige wenige Exponate, diese aber in ihrer ganzen Vielfalt und Tiefe anschaust und auf dich hast wirken lassen, gehst du meist viel erfüllter aus dieser Ausstellung wieder heraus. Genüsslicher ist es häufig auch für dich, wenn du dich bei einer Städtereise auf wenige dir wichtige Highlights konzentriert hast, anstatt „alles mitzunehmen“, was diese Stadt zu bieten hat.
Du kennst bestimmt das Sprichwort: Probieren geht über Studieren. Dich immer wieder einzulassen auf neue Erfahrungen, kann dir helfen neue Türen des Genusses zu öffnen. Und wenn du dabei spielerisch bleiben kannst und eine neue Erfahrung vielleicht nicht die erwartete Genüsslichkeit mit sich bringt, dann ist‘s eben, wie es Hildegard Knef so treffend singt, einfach wieder einmal Erfahrung anstatt Offenbarung – was macht das schon. Lass dich nicht davon abhalten, experimentierfreudig zu bleiben.
Ohne Erfahrung kein Genuss - ohne Genuss keine Lebensfreude.
Du bist auf dem Nachhauseweg. Hinter einer Biegung auf der Landstraße hast du völlig unerwartet einen Blick auf die untergehende Sonne. Ein echtes Feierabendgeschenk. Einfach so. Ein alltäglicher Moment zum Genießen. Ja, vielleicht spürst du dabei sogar ein Gefühl der Dankbarkeit. Das sind die kleinen Geschenke des Universums an dich, die du immer wieder durch etwas Achtsamkeit, gepaart mit Dankbarkeit, tief genießen kannst. Die Erfahrung vieler meiner Patientinnen und Patienten ist dabei folgende: Das, was sie im Alltag als Genussgeschenke zu entdecken vermögen, nimmt beträchtlich zu, wenn sie einige Wochen lang jeden Abend aufschreiben, was ihnen heute im Alltag Genüssliches und Dankeswertes widerfahren ist.
Genieße alles, was dir guttut, mit allen Sinnen genüsslich!
Genieße Lebensfreude in vollen Zügen und bleib genießbar!
Dein Gert Kowarowsky
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