Wege hin zu bereichernden Freundschaften – #137

In diesem Beitrag aus der Reihe "Erfahrungen aus der Praxis" zeigt Gert Kowarowsky, wie du dich für neue Freundschaften öffnen, sie aufbauen und erhalten kannst.

Wege hin zu bereichernden Freundschaften – #137
© PAL Verlag, unter Verwendung einer Illustration von Christina von Puttkamer

Bei dem Gedanken an Freundschaft haben viele Menschen zuerst eine Fülle von positiven Assoziationen:

  • Freunde bereichern unser Leben. 
  • Freunde teilen unsere Freude und mildern unseren Schmerz. 
  • Ohne Freunde würden wir die Welt vielleicht anders sehen – weniger lebendig, ärmer an Möglichkeiten. 
  • Freunde sind uns oft eine wichtige Quelle für Trost und Verständnis. 
  • Freunde können uns helfen, Stress abzubauen und das Gefühl von Einsamkeit zu verringern. 
  • Mit Freunden können schwierige Lebensphasen besser bewältigt und Erfolge intensiver gefeiert werden.

Tatsächlich zeigen viele Studien, dass enge soziale Bindungen das Risiko für Depressionen und Angstzustände deutlich verringern können.

Es gibt auch Freundschaften, die uns nicht guttun

Und gleichzeitig gibt es die Kehrseite der Medaille: Manche Freundschaften können toxisch sein, vor allem dann, wenn sie von Ungleichgewicht, Manipulation oder fehlendem Respekt geprägt sind. Freundschaften können auch bestehende psychische Probleme verschärfen.

Gerade in besonders schwierigen Phasen fühlt sich Laura manchmal von den Erwartungen ihrer Freundinnen, mit ihnen am prallen Leben teilzunehmen, überfordert. Gleichzeitig quält sie sich dann mit dem Selbstvorwurf, all das Gute, was sie an Zuwendung erfährt, nicht genug zurückgeben zu können.

Tim dagegen spürt den ungesunden Aspekt in den Freundschaften, die er pflegt, darin, dass er sich übermäßig emotional abhängig von seinen Freunden fühlt. Tage, an denen niemand erreichbar ist, sind ihm unangenehm. Er kam in Therapie, weil er bemerkte, dass es ihm immer schwerer fiel, eigenständig mit Problemen umzugehen, ohne sich ständig bei seinen Freunden rückzuversichern. Er musste sich auch eingestehen, dass seine größte Angst darin bestand, enge Freundschaften zu verlieren, und er fürchtete, dadurch in ein tiefes emotionales Loch zu fallen.

5 Tipps, um echte Freundschaften aufzubauen

In vielen Psychotherapien geht es einerseits darum, bestehende Freundschaften zu pflegen, vernachlässigte zu reaktivieren und neue Freundschaften zu knüpfen. Andererseits liegt der Schwerpunkt aber auch oft darin, problematische Muster in Beziehungen zu erkennen und zu bearbeiten. Und häufig besteht die therapeutische Aufgabe darin, isoliert lebende Menschen dabei zu unterstützen, Freundschaften überhaupt aufzubauen und aufrechtzuerhalten. 

Hannah tat sich damit ganz besonders schwer. Bisher war es für sie eine nicht zu bewältigende Herausforderung. Sie sehnte sich sehr nach einem gesunden Netzwerk vielfältiger Verbindungen, hatte jedoch keinerlei Plan, wie sie dieses aktiv aufbauen könnte. Deshalb öffneten wir zusammen die Werkzeugkiste praktischer und bewährter Tipps, um Freundschaften zu knüpfen: 

Tipp 1: Gemeinsame Interessen sind hilfreich, um Freunde zu finden

Als erstes erstellte Hannah eine Collage. Sie blätterte drei, vier Zeitschriften durch und schnitt all die Bilder, Worte, Überschriften, Zeichnungen und Symbole aus, die in ihr eine positive Resonanz auslösten. Dies half ihr, sich ihrer eigenen Interessen bewusst zu werden. Die Idee dahinter ist einfach: Gemeinsame Interessen bilden oft die Grundlage für Freundschaften. Deshalb mach dir zuerst klar, was dich im positiven Sinne besonders interessiert. 

Hannah erkannte, dass ihr Tiere, Tierschutz und insbesondere die Vermittlung von Auslandshunden ein großes Anliegen war. Also nahm sie Kontakt auf mit dem örtlichen Tierheim und fand im Netz einige Gruppen, die genau auf ihrer Welle lagen. So traf sie natürlicherweise auf Menschen, die ihr Anliegen teilten. Und nicht nur das, sie entdeckte sogar, dass einige Menschen aus ihrem bereits bestehenden sozialen Netzwerk sich genauso leidenschaftlich für das Thema interessierten wie sie. Arbeitskolleginnen, Nachbarn, entfernte Bekannte sah sie nun mit anderen Augen und fühlte sich über ihre Herzensangelegenheit schon mit ihnen verbunden.

Tipp 2: Offenheit zu zeigen unterstützt die Kontaktaufnahme

Schwieriger war es für Hannah, ihre innere Anspannung und ihren abweisenden Blick zu überwinden, der auf den tiefsitzenden Gedanken zurückging, dass sie eh nirgendwo willkommen sei und sie sowieso niemand möge. In den verschiedenen Texten, die ich ihr als bibliotherapeutische Unterstützung mitgegeben hatte, fand sie jedoch einen unterstützenden Gedanken, den sie interessant fand:
Warum ist es wichtig eigene Kontaktbereitschaft zu zeigen? Ein offenes und freundliches Auftreten signalisiert anderen, dass du für neue Kontakte bereit bist. Der einfachste Weg dazu ist zu lächeln, freundlich zu sein und einfache Fragen zu stellen wie: "Was hat dich hierhergeführt?" oder "Wie kamst du zu diesem Thema?"
Das erleichterte ihr den Start, offener auf andere zuzugehen.

Tipp 3: Hab Geduld bei der Freundschaftsanbahnung

Wichtig war für Hannah auch die Erkenntnis, dass Freundschaften Zeit brauchen, um sich zu entwickeln. In der Regel braucht es mehrere Begegnungen, egal wer den ersten Schritt gemacht hat und auf den anderen zugegangen ist. Sei also geduldig! Und selbst wenn andere nicht tiefer einsteigen möchten, sagt das nicht unbedingt etwas über dich aus. Gleichermaßen kann es auch in deinem Gegenüber begründet sein.

Tipp 4: Authentizität schafft echte Beziehungen

Authentizität ist die unabdingbare Voraussetzung für echte Verbindungen. Hannah hatte oft die Tendenz, sich sofort übermäßig an die anderen anzupassen. Sie übte deshalb, in jedem Gespräch ihre Meinung zu sagen, und nicht das, was sie glaubte, was die anderen wohl gerne hören wollten. Sie lernte mehr und mehr der Versuchung zu widerstehen, vorzugeben, jemand anderes zu sein, nur um zu gefallen. Sie lernte, sich selbst immer wieder zu ermahnen, wenn sie merkte, dass sie anderen gegenüber unauthentisch wurde. Sie sagte sich dann: "Sei du selbst! Beziehungen entstehen von alleine! Sie wachsen organisch ..."

Tipp 5: Gemeinsame Zeit ist die Basis guter Freundschaften

Statistisch gesehen ist der wichtigste Faktor beim Knüpfen von Freundschaften die gemeinsame Zeit und wiederholte Interaktion. Menschen, die regelmäßig miteinander in Kontakt kommen – sei es durch Arbeit, Schule, Hobbys oder gemeinsame Aktivitäten – haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, Freundschaften zu entwickeln. 

Gemeinsame Zeit ist der Nährboden für Freundschaft. Jeffrey Hall, ein Kommunikationswissenschaftler an der Universität von Kansas, fand heraus, dass es etwa 50 Stunden braucht, um eine "lässige" Bekanntschaft in eine Freundschaft zu verwandeln, und sogar über 200 Stunden, um eine enge, vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Diese Zeit ermöglicht es, sich gegenseitig kennenzulernen, Gemeinsamkeiten zu entdecken und Vertrauen aufzubauen.

Durch Austausch mit anderen erweitern wir unseren Horizont und wachsen

Hannah setzte diese wissenschaftliche Erkenntnis um und nutzte bewusst die Gelegenheiten, mehr Zeit mit potenziellen Freundinnen und Freunden zu verbringen. Manchmal tat sie dies durch spontane Treffen oder kleine Rituale, wie die nun von ihr eingeführten gemeinsamen Kaffeepausen mit den beiden Kolleginnen, die sich ebenfalls für notleidende Hunde engagierten. Dadurch dass sie sich nun häufiger sahen und miteinander sprachen, entstand eine zunehmende Vertrautheit, die sich mehr und mehr zu einer Freundschaft entwickelte.

Hannah konnte sich dabei selbst über die Schulter schauen, wie sich aus einem Teufelskreis von Isoliertheit und Misstrauen ein Engelskreis ergab. Durch ihren zunehmenden Mut, sich in Gesprächen mit persönlichen Erfahrungen einzubringen, entstanden immer mehr echte Verbindungen. Ihre Angst hatte zuvor nur oberflächlichen und häufig gar keinen Austausch zugelassen.

In ihrer Abschluss-Sitzung verblüffte sie mich mit der Zusammenfassung ihrer Erkenntnisse und Erfahrungen:

"Je offener ich bin und je mehr ich bereit bin, die Einzigartigkeit jeder meiner Freundinnen und Freunde zu schätzen, umso entspannter, freier und toleranter fühle ich mich. Es fällt mir jetzt immer leichter, mich auch mit Menschen auszutauschen, die meine Meinungen und Interessen nicht teilen, die eine andere Sichtweise haben. Und auch mit ihnen stelle ich fest: Ja, wiederholter Kontakt fördert Sympathie. Dadurch hat sich mein Horizont ganz schön erweitert. Und ich habe bemerkt, dass es die regelmäßige, ehrliche Kommunikation ist, egal ob wir über Schwierigkeiten oder schöne Momente reden, die Freundschaften stärkt und sie lebendig macht. Schön ist auch die Erfahrung, dass meine beste Freundin Annika, die jetzt in Australien lebt, mir trotz dieser Distanz sehr nah, ja vielleicht sogar noch ein wenig näher ist als zuvor, als sie noch um die Ecke wohnte. Wir schreiben uns mehrmals jede Woche das, was uns innerlich wirklich beschäftigt – und das tut so gut! 

Seit ich also meine Tür für mehr Kontakte geöffnet habe und mich immer häufiger authentisch sichtbar mache, erlebe ich mehr Freundschaft und Veränderung. Durch den tieferen Austausch mit anderen erlebe ich, wie sich meine eigenen Ansichten und Denkweisen weiterentwickeln. Ich fühle mich durch meine Freundschaften bereichert. Ohne sie würde ich die Welt definitiv anders sehen – weniger lebendig, weniger als ein Feld voller Möglichkeiten."

Als Ergänzung dazu fällt mir nur noch der Satz ein von dem englischen Dichter und Geistlichen John Donne, den er 1624 schrieb:

"No man is an island."

Besser kann man die tiefste Wirklichkeit unserer wechselseitigen menschlichen Verbundenheit nicht ausdrücken.

Möge die Freundschaft mit dir selbst und vielen anderen wachsen, blühen und gedeihen!

Dein Gert Kowarowsky

Erfahrungen aus der Praxis ...

… ist die psychotherapeutische Kolumne mit Inspirationen für deine Lebensgestaltung und den Umgang mit schwierigen Lebensthemen. Du findest alle Teile der Kolumne und mehr über den Autor Gert Kowarowsky hier.

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