In dieser Beitragsserie berichtet der Psychologe Gert Kowarowsky von den Erfahrungen aus seiner therapeutischen Praxis.
Mitleid, also mit-zu-leiden, hilft niemanden. Mitgefühl zu erfahren, zu spüren, dass jemand in der Lage ist mit mir zu fühlen, ist schon hilfreicher. Trost zu erfahren, Halt angeboten zu bekommen, hilft jedoch immer dabei, Schlimmstes zu überstehen. Trost spenden, jemanden trösten – was heißt das eigentlich? Wie kannst du einem Menschen helfen, der gerade tiefes Leid empfindet, weil er einen schmerzlichen Verlust erlitten hat oder ein ersehntes Ziel voraussichtlich niemals mehr erreichen wird?
Wenn ein Kind sich wehgetan hat und weinend zur Mutter gelaufen kommt, wird diese es meist instinktiv richtig machen und das Kind erst einmal in den Arm nehmen, bevor sie ein Pflaster auf die Wunde klebt.
In Zeiten von Online-Sprechstunden und privaten Online-Kontakten ist zwar das physische Halten unmöglich, aber seelischer Halt und Ermutigung im Leid lassen sich auch am Telefon oder online übermitteln. Einfach durch präsentes Dasein. Nichts zu leugnen, nichts zu beschönigen, also keinen „billigen“ Trost spenden, ist dabei ganz besonders wichtig. Dem anderen seinen Schmerz nicht kleinreden, sondern das Gefühl vermitteln: Ja, ich höre dich. Ja, ich sehe und fühle dein Leid. Ja, ich bin da. Ja, ich halte es mit dir gemeinsam aus. Und ich kann dir dadurch Halt geben, dass ich ganz tief weiß: Das einzig Konstante im Leben ist der Wandel. Auch dieser tiefe Schmerz wird vorübergehen – auch wenn es vielleicht dauert.
„Ach Mond - wüsst ich nicht, dass nur Schatten dich decken, müsst ich verzweifeln.“
So drückt es Imma von Bodmershof in einem Haiku, einem Kurzgedicht, tröstlich aus.
Sei erst einmal ohne Worte mit dem anderen und gib ihm die Erfahrung, mit dem Schmerz nicht allein zu sein in einem als dunkel, kalt und trostlos erlebten Universum. Schenke dem anderen deine ungeteilte Aufmerksamkeit, deine Augen und dein Ohr.
Es ist für viele Menschen sehr tröstlich zu wissen, dass sie auch zum wiederholten Male über ihr Leid sprechen dürfen, ohne die Angst lästig zu sein. Die Erfahrung oder auch nur die Idee, den anderen durch wiederholtes Sprechen über das, was schmerzt, auf „den Geist“ zu gehen, führt bei vielen Menschen dazu, dass sie verstummen und sich ungetröstet in sich zurückziehen.
In Korea gibt es eine Tradition, die von Heilerinnen in ihrer Ausbildung einen mehrmonatigen Rückzug verlangt, um sich geistigen Übungen zu widmen. Hierbei ist jede allein in einer kleinen Hütte im Urwald, weit voneinander entfernt. Alle haben, außer dem unmittelbar Nötigen, auch eine kleine Trommel bei sich. Immer wieder erlebt eine dieser Frauen die dunkle Nacht der Seele, Momente von tiefer Einsamkeit und Verzweiflung, vielleicht auch Angst. Wenn die innere Dunkelheit unerträglich erscheint, greift die Betreffende zu ihrer Trommel und trommelt und trommelt und trommelt so laut und intensiv, wie sie nur kann. Die Bewohnerin der nächstgelegenen Hütte hört das, nimmt dann ebenfalls ihre Trommel und stimmt ein. Dies hört die nächste Frau, stimmt ein, und so weiter, bis alle miteinander trommeln. Jede hört den Zuspruch der anderen, die getrommelte Ermahnung weiter zu üben, die Ermutigung durchzuhalten. Und jede einzelne von ihnen spürt in jeder Zelle ihres Seins den Trost:
Ja, im Moment bin ich verzweifelt und einsam – aber ich bin nicht alleine. Die Gegenwart der anderen gibt mir Halt, schenkt mir Trost und Hoffnung. Auch diese Zeit wird vorübergehen.
Dein
Gert Kowarowsky
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