In dieser Beitragsserie berichtet der Psychologe Gert Kowarowsky von den Erfahrungen aus seiner therapeutischen Praxis.
Angst vor neuen Situationen, Angst vor dem Unbekannten, Angst vor der Zukunft – viele Patienten kommen mit genau diesem Problem zu mir. Erstaunt sind viele, die unter Ängsten leiden, wenn sie dann von mir hören: „Ja, stimmt! Alles, was vor dir liegt, ist dir unbekannt. Ganz besonders wenn du gerade ein neues Lebensfeld betrittst.“ Und noch erstaunter sind sie, wenn ich dann sage: „Aber du hast keine Angst – du bist erwartungsvoll aufgeregt!“
Eine meiner Patientinnen hatte ihre Ausbildung abgeschlossen und ein gutes Jobangebot in einer anderen Stadt bekommen. Aber anstatt sich zu freuen, konnte sie vor lauter Angst und Bedenken kaum noch schlafen: "Was mag da auf mich zukommen? Bin ich dieser Aufgabe überhaupt gewachsen? Was ist, wenn die anderen alles besser können als ich? Was ist, wenn die anderen mich nicht mögen? Bestimmt fühle ich mich allein und einsam in der neuen Umgebung. Ist das wirklich das Richtige für mich? Soll ich wirklich zusagen?"
Sowohl bei Angst als auch bei freudiger Erregung geht dein Puls nach oben, dein Blutdruck steigt, deine Atmung ändert sich und du kannst dir sowohl vor Angst als auch vor Lachen in die Hosen machen. Vor neuen Situationen sind es jedoch meist nicht die Gedanken an die neuen positiven, wunderbaren, erfüllenden Ereignisse, die da auf dich warten, die dich erregen, sondern all die Gedanken, die sich auf das beziehen, was du befürchtest.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, für wie viele Menschen das Neue und Unbekannte zuallererst assoziiert wird mit Negativem. Gerade wenn Menschen mit Ängsten zu mir kommen, stelle ich fest, dass sie kommende herausfordernde Situationen oft nur ganz kurz andenken und dann, angesichts einer Flut negativer Assoziationen, den inneren Film wieder abbrechen. Oder sie wechseln die Szene, springen von einem Thema zum nächsten. Dadurch entsteht ein Nebel negativer Gefühle, so dass sie oft gar nicht mehr recht wissen, wovor sie eigentlich Angst haben.
Wenn ich daraufhin neugierig nachfrage: „Und wie geht es dann weiter, was geschieht noch alles in deiner Vorstellung in dieser Situation?“, höre ich häufig: "Das möchte ich mir gar nicht vorstellen, das möchte ich gar nicht so genau wissen …"
Diese Art, mit Gedanken an die Zukunft umzugehen, führt meist genau zu diesem unerwünschten, diffusen und manchmal sogar heftigen Gefühl von Unbehagen, Angst, Angst vor der Angst und Panik. Meist schlage ich dann Folgendes vor: "Wie wäre es, ab jetzt den ganzen Aufruhr in dir anders zu beschreiben?" Anstatt zu dir selbst zu sagen: "Ich habe Angst.", probiere es einmal damit: "Oh, ich bin richtig aufgeregt und neugierig auf das, was da auf mich zukommt."
Ich lade also alle meine Patienten dazu ein, die positive Welle der Erregung zu genießen, die ganz natürlich entsteht, wenn wir die kindliche Neugierde in uns wieder zulassen. Das innere Kribbeln, geboren aus der Vorfreude auf Erwartetes – aber auch aus der Bereitschaft, auf völlig Unerwartetes, Überraschendes zu treffen. Mein bester Freund Harald pflegte zu sagen: "Die allerbesten Geschenke des Lebens an mich sind diejenigen, die jenseits dessen liegen, was ich mir selbst hätte wünschen können."
Die beste Haltung gegenüber dem Unbekannten in der Zukunft liegt also darin, die Aufregung genießen zu lernen, anstatt sie unter dem Titel „Angst“ abschalten zu wollen. Viel mehr Lebensfreude liegt darin, sich selbst neugierige Fragen zu stellen wie:
„Was kann die Zukunft wohl bringen an Neuem, an Interessantem, an Herausforderungen, die ich bewältigen kann und werde? Und wenn Niederlagen vor mir liegen könnten, wie kann ich mit ihnen auf eine neue, konstruktive Art und Weise umgehen? Welche bereichernde Begegnungen werde ich haben? Welche neuen Wegbegleiter werde ich finden? Welche werden eine Weile bei mir bleiben? Welche werden den Abzweigungen links und rechts folgen und ihren eigenen Weg gehen? Welche kleinen und großen Wunder werden mir jeden Tag geschenkt? Wofür werde ich am Ende jedes Tages, jeder Woche, jedes Monats, am Ende des Jahres dankbar sein können?“
Schauspieler sprechen vor einer Premiere nicht von Angst – sie sprechen von Aufregung, von Lampenfieber. Welch interessante neue Zuordnung: Es sind die starken Bühnenstrahler, die die Hitze in mir aufsteigen lassen, so dass es sich schon fast fiebrig anfühlt… Nein, Angst ist das nicht! Es ist die erwünschte fiebrige Erregung, im Rampenlicht stehen zu dürfen.
Der hilfreichste und eindrucksvollste Satz aus meiner eigenen Selbsterfahrung, an den ich mich auch heute immer wieder erinnere, wenn ich vor einer spannenden neuen Situation stehe, lautet:
"Die Erregung, die ich im Moment in mir verspüre, ist keine Angst. Sie ist vibrierende Neugier auf das, was jetzt an Neuem auf mich zukommt - und ich bin bereit es so zu nehmen wie es kommt."
Dein
Gert Kowarowsky
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"Die allerbesten Geschenke des Lebens an mich sind diejenigen, die jenseits dessen liegen, was ich mir selbst hätte wünschen können."
Wie wahr. :-)
Das gilt allerdings auch f. die schrecklichsten Momente des Lebens. Meine Erfahrung, auch diese können weit jenseits dessen liegen, was man sich so vorstellen kann.
Die Logik gebietet auch beides f. möglich zu halten unverwartet Schönes und auch unerwartet Schreckliches. Und unerwartet Schreckliches das gibt es eben auch tatsächlich.