In dieser Beitragsserie berichtet der Psychologe Gert Kowarowsky von den Erfahrungen aus seiner therapeutischen Praxis.
Viele Wege führen nach Rom, heißt ein altes Sprichwort. Und so gibt es auch viele Wege, seiner Seele eine Pause zu gönnen. Das rate auch immer meinen Patientinnen und Patienten, wenn sie mir verzweifelt erzählen: „Ich kann nicht abschalten, mein inneres Rädchen kommt einfach nicht zur Ruhe. Während ich das eine mache, treibt mich innerlich schon das Nächste. Entspannungsübungen helfen mir auch nicht weiter. Allein der Gedanke, dafür zwanzig Minuten still rumzusitzen, macht mich schon ganz hibbelig …“
Solche Aussagen höre ich häufig von Patienten, die über Schlafstörungen klagen, über Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, hohen Blutdruck und andere körperliche Beschwerden, die durch psychische Belastungen ausgelöst oder aufrechterhalten werden. Sie sehnen sich meist sehr danach, ihrer Seele eine Pause zu gönnen. Die innerlich so Getriebenen lade ich dann zu einem gedanklichen Spaziergang ein, um zu erkunden, welches ihr Weg sein könnte, zur Ruhe zu kommen, auch ohne sich still in die Ecke zu setzen.
"Ruhe ist die Grundlage jeglicher Aktivität. Pausen durchdringen natürlicherweise unser ganzes Leben. Beim Gehen ist ein Bein in Bewegung, das andere nicht. Noch eben in Bewegung, steht dieses Bein dann wieder still und gibt somit dem anderen Bein die notwendige Basis, um sich fortzubewegen."
Für dieses Prinzip von Ruhe und Aktivität gibt es noch viele weitere Beispiele: Du atmest aus und eine natürliche Pause entsteht, dann atmest du wieder ein; nach einer erneuten kleinen Pause atmest du wieder aus. Bei der Pendeluhr an der Wand schwingt das Pendel nach rechts, Pause, Schwingung nach links, Pause, Schwingung nach rechts, Pause, Schwingung nach links. Die Töne einer Melodie kannst du nur hören, weil auch hier zwischen jedem Ton eine kleine Pause ist. Ebenso ist es mit der gesprochenen Sprache, nach jedem Wort gibt es eine kleine Pause. Die fünf Finger meiner Hand kannst du nur sehen, weil dazwischen die Leere ist. Es folgt auf den Tag die Nacht, auf den Sommer der Winter, und so fort.
Geht es dir auch so? Dir liegt ein Wort – ein Begriff oder ein Name – auf der Zunge, aber es will dir einfach nicht einfallen? Du bemühst dich zunächst vergeblich, es zu finden, aber dann lässt du einfach mal los, beschäftigst dich mit irgendetwas anderem, gönnst also deinem Gehirn eine Suchpause und schon – blubber, blubber, blubber – kommt überraschend aus der Tiefe deines Gehirns – wie aus einem brodelnden Vulkan – der eben noch unauffindbare Begriff von ganz alleine nach oben.
Versuche also niemals mit Gewalt, innerlich zur Ruhe zu kommen. Deine Seele hat ihre eigenen Wege, ihre kleinen und großen Pausen einzulegen. Und die können von Mensch zu Mensch und auch von Zeit zu Zeit sehr unterschiedlich sein.
Lass uns ein paar der möglichen Wege erkunden, auf denen du deiner Seele eine Pause gönnen kannst:
Ein erholsames Bad
Viele Menschen empfinden ihre Badewanne als den Ort, an dem es keinerlei Anstrengung und Anleitung bedarf, seiner Seele eine Pause zu gönnen. Selbst wenn das Telefon klingelt oder die Türglocke geht: „Ich liege jetzt in der Wanne – und bis ich aus der Wanne und abgetrocknet bin, ist es eh schon zu spät…“ Also bleiben sie gleich ruhig und genüsslich im warmen Wasser liegen und lassen ihre Seele weiterhin mit bestem Gewissen baumeln.
Erholung durch Bewegung
Wieder andere brauchen Bewegung, Bewegung, Bewegung, um das Gefühl einer seelischen Pause zu erfahren: Tanzen, Joggen, Radfahren, Rollerskaten, Schwimmen, körperliches Workout, alle Sportarten mit und ohne Geräte. Oder die sanfteren Bewegungen, wie sie bei Yoga, Tai Chi, Chi Gong, Stretching, Feldenkrais oder Faszientraining üblich sind.
Bei intensiver körperlicher Bewegung wird Herz und Kreislauf angeregt, die Atmung wird vertieft. Und oftmals folgt spontan das laute Tönen des Jubels, der Begeisterung, der Erleichterung oder auch lautstark geäußerter Frust. Es kommt zu Tönen, die alles belastende Geblubber im Kopf einfach aufhören lassen. Der „Bewegungs-Atmungs-Töne-Besen“, der alle Alltagsgedanken wegzufegen vermag, verhilft vielen Menschen zu einer Pause ihrer Seele.
"Ich bin der Meinung, dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge.“, meinte Johann Gottfried Seume (1763-1810). Ob man es nun Spaziergang oder Wanderung nennt, einen Rucksack mit Vesper dabeihat oder nicht – einen Schritt vor den anderen zu setzen, weiter und weiter zu gehen, führt tatsächlich bei ganz, ganz vielen bewegten Menschen zu innerer Stille.
Erholung in der Natur
Shinrin Yoku, ein Waldbad nehmen, nennen es japanische Menschen, wenn sie nicht nur im Wald spazieren gehen oder wandern, sondern zwischendrin immer wieder stehen bleiben, schauen, die Augen schließen, hören, riechen, fühlen, kurzum, im Wald baden.
Wer es liebt, im Garten zu sein und im Garten zu arbeiten, wird das wohl nicht „ein Gartenbad nehmen“ nennen und dennoch dabei leicht die gleiche Seelenpausenzeit-Erfahrung machen können.
Erholung durch geistige Anregung
Lesen, schreiben, Musik hören, selbst musizieren, Kunst betrachten, selbst Kunst machen, sich massieren lassen, andere hingebungsvoll massieren, beten – all dies sind Wege, deiner Seele eine Pause zu gönnen
Positive Emotionen ausleben
Leben – Lieben – Lachen ist für andere wiederum der beste Weg, um sich innerlich alltagssorgenfrei, unbeschwert und ganz entspannt im Hier und Jetzt zu fühlen.
Regeneration im Schlaf
Und dann gibt es diejenigen, die wissen, dass im Nachtschlaf nicht nur sieben Stunden Stille herrschen, sondern jede Menge Regeneration stattfindet. Diese Regeneration geht mit Träumen einher, mit vielen inneren Bildern, Gedanken, Bewegungen und Körperreaktionen. Wer dieses Wissen hat, für den ist auch das Feld der klassischen Stille-Übungen ein willkommener Weg, seiner Seele eine Pause zu gönnen. Für manche sind tatsächlich geführte entspannende Vorstellungsreisen hilfreich, für andere hat sich das systematische Anspannen und Entspannen einzelner Muskeln bewährt, wie es viele meiner Kollegen lehren. Manche nennen es Tiefenmuskelentspannung, andere Jacobson´sche Muskelrelaxation oder Progressive Muskelentspannung. Das Autogene Training ist ein Weg für all diejenigen, die gut selbst mit inneren Bildern und Vorstellungen arbeiten können und durch diese Autosuggestionen Felder innerer Ruhe aufzusuchen vermögen.
Seelische Erholung durch Meditation
Meditation wiederum fällt erstaunlicherweise gerade den Menschen am leichtesten, die es sich anfangs überhaupt nicht vorstellen können, sich jeden Tag morgens und abends für zwanzig Minuten zum Meditieren hinzusetzen, und die dennoch neugierig genug sind, die Meditation zu erlernen. Wer sich ohne große Erwartung bereitwillig darauf einlässt, hat meist die tiefsten Regenerationserfahrungen. Wer lernt, Gedanken, Gefühle und hibbelige Körperreaktionen in der Entspannungsphase, ebenso wie im Schlaf, als Zeichen zu akzeptieren, dass genau in diesen Momenten etwas sehr Günstiges geschieht und tatsächlich messbar körperlicher Stress abgebaut wird, der freut sich schon morgens wieder auf seine Seelenauszeit mit der Abendmeditation.
Das war ein kleiner Erkundungsweg durch einige der bekanntesten Möglichkeiten, der Seele eine Pause zu gönnen. Wichtig dabei ist es, die für dich gangbaren Wege zu finden. Welche Möglichkeiten sprechen dich am meisten an? Was lässt dich spontan etwas tiefer und entspannter durchatmen, wenn du es liest oder daran denkst? Oder was wurde hier nicht erwähnt, welches ist vielleicht dein bester Weg nach Rom – zur genüsslichen Seelenpause?
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Dein
Gert Kowarowsky
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