So geht's – aber anders geht's auch ... – #121

In diesem Beitrag der Serie "Erfahrungen aus der Praxis" zeigt Gert Kowarowsky, wie entlastend die Erkenntnis sein kann, dass es für jedes Problem mehrere Lösungen geben kann – nicht nur eine perfekte.

So geht's – aber anders geht's auch ... – #121
© PAL Verlag, unter Verwendung einer Illustration von Christina von Puttkamer

Sandra lag oft nächtelang wach, grübelte vor sich hin und nicht selten wachte sie dann morgens mit einem Druck im Magen auf. Manchmal, wenn sie vor einem Problem stand, war sie richtig verzweifelt. Sie sagte: "Ich fühle mich dann, wie der berühmte Ochs, der vorm Berg steht und der nicht weiß, wie er seinen schweren Karren da hinaufbringen soll."

Ihre beste Freundin Anne dagegen, so berichtete sie mir, kaufe sich gerne kunstvolle Versionen von 3D-Puzzles, weil sie Spaß daran habe, Probleme zu lösen. Enttäuscht sei sie dann, wenn die vermeintlich schwer zu lösende Aufgabe ganz einfach zu lösen sei. Ihre Einstellung sei: "Spaß macht es mir nur, wenn es eine richtig harte Nuss ist, die sich nicht so leicht knacken lässt."

Was aber, wenn für eine Situation unbedingt eine Lösung benötigt wird und die gewohnten Wege zur Zielerreichung völlig versagen oder nicht wirksam genug sind?

Es gibt mehr als nur eine perfekte Lösung für ein Problem

In den Therapiegesprächen wurde deutlich, dass Sandra sich immer wieder ganz viel Stress machte, weil sie glaubte, dass es für jedes Problem eine allerbeste und einzige Lösung geben müsse. Ich lud sie ein zu einem kleinen Ausflug in die wissenschaftliche Definition von Problemen. Diese lautet:

"Ein Problem ist ein Hindernis, das überwunden oder umgangen, beseitigt oder verändert werden muss, wenn man von einer unbefriedigenden Ausgangssituation (Ist-Zustand) zur befriedigenden Zielsituation (Soll-Zustand) gelangen möchte." (Müller & Kröger 2013)

Zusätzlich möchte ich hier auf jeden Fall die Option Radikale Akzeptanz einführen. Manchmal triffst du auf deinem Lebensweg auf ein Hindernis, eine unbefriedigende Situation, die sich weder überwinden noch umgehen, beseitigen oder verändern lässt. Ich denke da zum Beispiel an eine gebrochene Schulter kurz vor einem sportlichen Wettbewerb. Die radikale Akzeptanz bietet deshalb hier aus meiner Sicht eine zusätzliche wichtige Wahlmöglichkeit im Umgang mit schwierigen Situationen.

Wenn es also darum geht, auf deinem aktuellen Lebensweg ein Hindernis zu überwinden, zu umgehen, zu beseitigen oder zu verändern, gibt es ganz sicher mehr als nur eine einzige allerbeste Lösung hierfür.

Das Stichwort Brainstorming kannte Sandra natürlich. Es lag ihr jedoch völlig fern, sich selbst einen kleinen Sturm in ihrem Gehirn zu erlauben. Ihre Gedanken auch unlogische, unrealistische, fantastische, abenteuerliche, unerprobte Wege gehen zu lassen, widersprach ihrem Leistungsanspruch, schnell und effektiv zur bestmöglichen Lösung zu kommen. Es dauerte einige Stunden, sie davon zu überzeugen, dass es tatsächlich sinnvoller und effektiver wäre, sich zu erlauben, neue Wege zu gehen und eine bunte "Artenvielfalt" bei der Suche nach Lösungen zuzulassen.

Darüber hinaus erkannte Sandra, dass es ihr prinzipiell immer wieder schwerfällt anzuerkennen, dass es gerade so ist, wie es ist, selbst wenn es idealerweise nicht so sein sollte. Der erste Impuls in ihr war meist: "Das darf doch nicht wahr sein!", oder noch irrationaler: "Das kann doch gar nicht wahr sein!"  Diese Grundeinstellung blockierte bei ihr eher die Lösungssuche, als dass sie ihr dabei half, angemessene Lösungen zu finden. Sie erarbeitete sich deshalb zunächst einmal die neue Grundeinstellung:

 "Störungen sind ein natürlicher Teil innerhalb jedes Unternehmens und innerhalb jeder Unternehmung."

Dies verhalf ihr zu einer neuen Gelassenheit, aus der heraus ihr kreativere Problemlösungen möglich waren als unter ihrer sonst üblichen hohen inneren, fast panikartigen Anspannung, wenn wieder einmal etwas nicht so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Die größte Entlastung lag für Sandra jedoch darin zu erkennen, dass es immer (!!!) mehr als eine Lösung für ein Problem gibt. Ihr neuer Slogan wurde:

So geht’s – aber anders geht’s auch …

Wenn sie nun vor der Aufgabe steht, eine Lösung für ein anstehendes Problem zu finden, ist es für sie viel einfacher. Sie steht nun nicht mehr unter dem inneren Druck nach der einen, ja, nach der einzigen möglichen allerbesten Lösung Ausschau zu halten. Sie sucht ab jetzt leichteren Herzens nach einer für sie gangbaren Lösung für ein anstehendes Problem – inklusive der Option der radikalen Akzeptanz. Sie tut das, was sie für angemessen hält, und ist gleichzeitig offen für all die anderen Lösungsmöglichkeiten für ein anstehendes, zu lösendes Problem. Sie kann sich seither auch viel mehr mit ihren Kolleg:innen freuen, die andere Lösungswege finden oder schon gefunden haben.

Zusätzlich entschloss sie sich, sich wieder regelmäßig mehr Zeit zu nehmen für Phasen der Stille und des Selbstrückbezugs als solide dauerhafte Basis für den konstruktiveren Umgang mit Herausforderungen.

Genieße deine Alltagsherausforderungen, jenseits der Suche nach der einen einzigen besten Erfolgsstrategie mit der Lebensfreude-Formel von Sandra:

So geht’s – aber anders geht’s auch …

Dein Gert Kowarowsky

Erfahrungen aus der Praxis …

… ist die psychotherapeutische Kolumne mit Inspirationen für deine Lebensgestaltung und den Umgang mit schwierigen Lebensthemen. Du findest alle Teile der Kolumne und mehr über den Autor Gert Kowarowsky hier.

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