Wir begegnen immer wieder Menschen, die uns nicht leiden können. In diesem Beitrag aus der Reihe „Erfahrungen aus der Praxis“ lädt Gert Kowarowsky mit einer Verhaltensübung dazu ein, den Blick auf die eigentlichen Gründe dafür zu richten.
"An meiner Wand hängt ein japanisches Holzwerk,
Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack.
Mitfühlend sehe ich die geschwollenen Stirnadern,
andeutend wie anstrengend es ist, böse zu sein."
"Diese Aussage von Bertold Brecht, die Sie mir in einer Therapiestunde zitiert hatten, geht mir seitdem immer durch den Kopf, wenn ich auf unfreundliche, mürrisch, ja aggressiv dreinschauende Menschen treffe", berichtete mir Mia.
Für sie war es ein großes Problem gewesen, wenn andere sich ihr gegenüber unfreundlich verhielten. Es bedurfte vieler Gespräche, bis sie erkennen konnte, dass die Unfreundlichkeiten anderer selten etwas mit ihr persönlich zu tun haben, sondern ganz oft einfach Ausdruck der inneren Konflikte der anderen sind. Für Mia war es sehr entlastend zu erkennen, dass Unfreundlichkeit oft mehr über die Person aussagt, die unfreundlich ist, als über sie. Dieses Verständnis und die daraus resultierende Empathie helfen Mia seither, besser mit solchen Situationen umzugehen.
Neben der Tatsache, dass es natürlich ab und zu Begegnungen mit Menschen gibt, die dich tatsächlich nicht leiden können und dich deshalb unfreundlich oder gar böse anschauen, möchte ich dich zu einer Verhaltensübung einladen, die dir hilft, deinen Blick zu erweitern und die meist viel wahrscheinlicheren Gründe für Unfreundlichkeit in dein Bewusstsein zu bringen.
Wenn sich dir gegenüber ein Mensch unfreundlich verhält, gewöhne dir an, dafür mindestens drei mögliche Ursachen in Betracht zu ziehen, die nichts mit dir zu tun haben. Menschen können ganz unterschiedliche Gründe dafür haben, dass sie sich heute nicht nur dir, sondern nahezu allen gegenüber unfreundlich verhalten.
Manchmal ist jemand einfach nur mit dem falschen Fuß aufgestanden und hat von Tagesbeginn an schlechte Laune. Manchmal siehst du deinem unfreundlichen Gegenüber deutlich an, dass sie oder er so richtig gestresst dreinschaut. Möglicherweise war es mal wieder einer der Tage, an denen alles schief ging, was schief gehen konnte: Zeitdruck, schlechte Nachrichten, Arbeitsgeräte, die im entscheidenden Moment ihren Geist aufgegeben haben, ein Misserfolg, erfahrene Ungerechtigkeiten oder körperliche Beschwerden, die den Blick düster und abweisend haben werden lassen.
Und manch eine oder einer mag besonders kalt, arrogant, hochnäsig und mit abwertendem Blick durch die Gegend laufen, weil sie oder er sich ganz besonders unsicher fühlt oder gar an einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung leidet.
Manche Menschen wiederum haben freundliches Verhalten schlichtweg nie gelernt, da niemand in dem Lebensumfeld, in dem sie groß geworden sind, sich anderen gegenüber freundlich verhalten hat. Lernen an guten Vorbildern hat dann nicht stattgefunden.
Ganz banale Gründe dafür, dass eine Person, die du gut kennst, nicht darauf reagiert, wenn du ihr freundlich zuwinkst oder Hallo sagst, können sein, dass dein Gegenüber die Brille nicht aufhat, das Hörgerät nicht eingeschaltet hat, oder du sie oder ihn aus dem Auto heraus schon hundert Meter zuvor siehst, bevor du vorbeifährst, dei andere Person jedoch keinerlei Acht gibt auf die Insassen der vorbeifahrenden Autos und dich deshalb überhaupt nicht wahrnimmt.
In den meisten Fällen liegst du mit solchen Gedanken und Überlegungen mehr im Zielgebiet, als wenn du alles reale oder vermeintliche unfreundliche Verhalten anderer auf dich beziehst. Begegnest du also auf deinem Weg durch den Alltag das nächste Mal Menschen, die sich dir gegenüber unfreundlich verhalten, erinnere dich zuerst immer daran, dass du nicht wirklich weißt, weshalb die andere Person sich so verhält. Überlege dir dann mindestens drei Erklärungen, weshalb das so sein könnte, die nichts mit dir zu tun haben, denn meistens ist dies so. Das hilft dir dabei, gelassen zu bleiben.
"Ge-Lassenheit", es so sein lassen zu können, wie es ist, ist die spontan beste Reaktion. Spontane, hilfreiche, gesunde Gedanken, die du in solch einer Situation denken kannst, sind daher so etwas wie: "Ja, so ist es, ja, so ist es, ja, so ist es – die oder der andere verhält sich gerade anders, als ich es mir wünschen würde. Ja, so ist das. Ich erkenne an, dass das jetzt so ist. Ich bin gelassen." Das schließt nicht aus, bei grober Unhöflichkeit dem Gegenüber klare Grenzen aufzuzeigen und beispielsweise zu sagen: "Ich höre Ihnen zu. Ich höre, dass Sie verärgert sind, und dennoch möchte ich Sie bitten, sich mir gegenüber respektvoll zu verhalten."
Die Begegnung mit Menschen, die sich unfreundlich verhalten, muss also nicht automatisch dazu führen, dass deine Lebensfreude geschmälert wird. Im Gegenteil. Alle Menschen, die dir unfreundlich begegnen, sind eine Herausforderung für den Fluss deiner Empathie, deines Mitgefühls. Sei dir bewusst: Je unfreundlicher sich jemand verhält, desto stärker ist ihr oder sein Hunger nach Freundlichkeit; je problematischer sich jemand dir gegenüber verhält, umso mehr Liebe bedarf sie oder er. Das bedeutet nicht, dass du in einer entsprechenden Situation nicht klar und deutlich sagen darfst: "Aua! Du stehst gerade auf meinen Fußzehen, gehe bitte einen Schritt zurück!"
Wenn es dir leichtfällt und du dich dafür nicht verbiegen musst, dann – aber nur dann – sei deinerseits dennoch freundlich zu dem Griesgram!
Lass dein Licht leuchten!
Dein Gert Kowarowsky
… ist die psychotherapeutische Kolumne mit Inspirationen für deine Lebensgestaltung und den Umgang mit schwierigen Lebensthemen. Du findest alle Teile der Kolumne und mehr über den Autor Gert Kowarowsky hier.
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