Lass GUT gut sein! – #127

In diesem Beitrag aus der Reihe "Erfahrungen aus der Praxis" zeigt Gert Kowarowsky, wie negativ sich der übermäßige Wunsch nach Perfektion auf das Ergebnis unserer Arbeit auswirken kann – und wie wir lernen, davon loszulassen.

Lass GUT gut sein! – #127
© PAL Verlag, unter Verwendung einer Illustration von Christina von Puttkamer

Das innere Streben nach Perfektion gilt als einer der Hauptgründe für Burnout, Depression und mangelndes Selbstbewusstsein. Ja, es geht sogar so weit, dass manche Menschen ernsthaft glauben, sie seien minderwertig und könnten eigentlich genauso gut tot sein, weil sie nicht auf jedem Gebiet gleich kompetent, perfekt und erfolgreich sind.

Dies ist jedoch aus verschiedenen Gründen Unsinn.

Nobody is perfect

Weshalb? Ganz einfach, weil der Satz "Nobody is perfect" stimmt. Kein Mensch, niemand, der einen Körper hat, kann perfekt sein. Unser Körper hat natürlicherweise seine biologischen Unregelmäßigkeiten und unser Geist funktioniert beim besten Willen und trotz und manchmal gerade wegen höchster Anstrengung einfach nicht fehlerfrei.

Das Yerkes-Dodson-Gesetz

In der Arbeitspsychologie, die sich viel mit den Einflussfaktoren auf die Leistungsfähigkeit befasst, gibt es ein bekanntes Untersuchungsergebnis, das bereits 1908 veröffentlicht wurde: das Yerkes-Dodson-Gesetz. Es beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Erregung, der Anstrengung und Anspannung, die wir in eine Aufgabe investieren, und der dadurch tatsächlich erreichten Leistung. Wie zu erwarten war, hatten die Personen, die unmotiviert, mit geringem Engagement und ohne sonderliche innere Beteiligung an die Aufgaben herangingen, nur einen sehr geringen Erfolg. Durch Motivation und Engagement nahm der Erfolg, die erzielte Leistung erwartungsgemäß zu.

Das stimmte aber nur bis zu einem gewissen Punkt. War das GUTE Maß überschritten, schoss der Ehrgeiz und die Erregung, das höchstmögliche Ziel unbedingt zu erreichen, über ein angemessenes Maß hinaus, nahm die Leistung zusehends wieder rapide ab. Ja, die Leistung sank bei maximaler Übermotiviertheit sogar ab bis hin zur völligen Zerstörung des bereits Erreichten.

Wie der Wunsch nach Perfektionismus zu schlechteren Ergebnissen führen kann – eine Fallgeschichte

Gabriella hatte diese schmerzliche Erfahrung bereits mehrfach gemacht, als sie sich völlig verzweifelt und inzwischen depressiv dazu entschloss, an ihrem "Perfektionismuswahn", den sie selbst genau so bezeichnete, zu arbeiten.

Bei Prüfungen hatte sie sich angewöhnt, alles was sie schrieb und berechnete, mehrfach zu überprüfen, bevor sie sich an die nächsten Aufgaben machte. Das Ergebnis war oft niederschmetternd. Durch die wiederholte Überprüfung des bereits Geschriebenen fehlte ihr die Zeit für die Bearbeitung weiterer Aufgaben, die sie ansonsten durchaus hätte lösen können. Auch ihre Abschlussarbeit drohte nicht bis zum Abgabetermin fertig zu werden. Immer wieder hatte sie neue Ideen, was sie noch alles vorher erkundet haben wollte, um das Thema so umfassend wie nur irgend möglich darzustellen. Ganze Kapitel, die sie schon fertiggestellt hatte, löschte sie wieder, weil sie selbst sie als nicht perfekt empfand.

Ihre tiefste Überzeugung war tatsächlich, nur dann anerkannt und geliebt zu werden, wenn sie alles, aber auch wirklich alles, was an Aufgaben anlag, perfekt erledigte.

Wir schauten uns gemeinsam die Yerkes-Dodson-Kurve an. Gabriella erkannte sofort, dass erstaunlicherweise die höchsten Leistungen nicht mit einem maximalen, sondern mit einem gesunden Maß an Motivation und Anstrengung zu erzielen sind. Es half ihr, sich für ihre Anstrengungen nicht völlig abzuwerten, da sie sehen konnte, dass tatsächlich bei zu niedriger Motivation auch nur eine geringe Leistung erreicht werden kann. Überraschend war für sie jedoch zu erkennen, dass die umgedrehte U-Kurve des Yerkes-Dodson-Gesetzes deutlich zeigte, dass nicht nur bei sehr niedrigem Anstrengungsniveau die Leistung gering ist, sondern eben auch bei sehr hohem Motivationsniveau immer geringer wird und bei Übermotivation sogar ein völliges Versagen droht.

GUT ist besser als perfekt

In unseren Gesprächen kam sie auf eine kreative Idee: Sie klebte sich ein kleines rundes Post-it unten an die Bildschirmleiste ihres PC mit den drei Buchstaben:

Gbp

Diese drei Buchstaben erinnerten sie immer wieder daran, konzentriert weiterzuarbeiten, statt übermäßig viel Zeit zu verschwenden mit aufwändigen Zusatzideen und stundenlangen Netzrecherchen. Die Analyse des Yerkes-Dodson-Gesetzes hatte ihr geholfen zu erkennen:

Gut ist besser als perfekt.

Deshalb brachte sie ihre drei Zauberbuchstaben zum Einsatz:

Gbp - Gut ist besser als perfekt.

Wenn es in ihr anfing zu galoppieren, wenn ihr Perfektionswahn wieder einmal von ihr Besitz ergreifen wollte, sagte sie sich immer wieder: Lass gut sein! Lass gut gut sein! Gut ist besser als perfekt!

Schon nach wenigen Wochen erkannte Gabriella, wie sehr diese neue innere Einstellung für ihre Gesundheit und ihre Lebensfreude förderlich war. Natürlich gab das Teufelchen ihrer alten Denkgewohnheit nicht so schnell auf und quälte sie mit schlechtem Gewissen. Ja, es drohte ihr sogar damit, dass sie nie mehr im Leben irgendwelche Erfolge haben könne, von niemandem mehr geliebt werde, alle Menschen in ihrer Umgebung sich enttäuscht von ihr abwenden würden, kurzum, dass sie, Gabriella, ihr Lebensglück verspiele, wenn sie nicht immer bei allem, was sie tat, den "Götzen Perfektio" anbete. Er bedrängte sie immer wieder mit der Forderung, mit nichts weniger zufrieden zu sein als mit dem perfekten Endergebnis – koste es, was es wolle.

Zu ihrem kreativen kleinen Gbp-Aufkleber an ihrem PC-Bildschirm erarbeitete sich Gabriella zusätzlich noch weitere neue, gesunde, stressreduzierende innere Selbsterinnerungssätze wie:

  • Auch ich darf Fehler machen.
  • Aus Fehlern kann ich lernen.
  • Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
  • Gut ist wirklich meistens gut genug.
  • Weniger ist manchmal mehr.
  • So gut wie möglich, so gut wie nötig.
  • Ab und zu lasse ich alle fünfe gerade sein.
  • Ich gebe mein Bestes und achte auf mich.
  • Ich unterscheide zwischen wichtig und unwichtig.
  • Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Und wenn ihr Perfektionswahn da und dort dennoch mit ihr durchzugehen drohte, sagte sie oft laut und streng zu sich selbst:

"LASS GUT SEIN! - Lass einfach GUT gut sein!"

Ihre beste Freundin, die schon viele Jahre regelmäßig meditierte, setzte ihren förderlichen Gedanken noch ein Sahnehäubchen auf, indem sie ihre eigene Meditationspraxiserfahrung mit Gabriella teilte:

Lass gut sein! Das hilft beim gut SEIN.

Genieße die nächsten Wochen vor Weihnachten ganz besonders perfektionsfrei. Genieße es, dich immer wieder im entspannten "Es-gut-sein-lassen-können-Modus" genüsslich und erfolgreich durch die Welt zu bewegen.

Dein Gert Kowarowsky

Erfahrungen aus der Praxis …

… ist die psychotherapeutische Kolumne mit Inspirationen für deine Lebensgestaltung und den Umgang mit schwierigen Lebensthemen. Du findest alle Teile der Kolumne und mehr über den Autor Gert Kowarowsky hier.

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