In diesem Beitrag der Serie "Erfahrungen aus der Praxis" geht es um unsere Fähigkeit zu hoffen und um die darin steckende Wirkkraft auf unser seelisches Immunsystem: die Resilienz.
Oft taucht die Frage auf, was in schwierigen Zeiten hilft, Depressionen zu vermeiden und die innere Stärke zu erhöhen. In fast jeder Therapie, bei fast jedem Menschen findet sich – neben all den anderen Einflussgrößen – immer wieder ein wichtiger wirksamer Faktor: Es ist der Faktor Hoffnung.
Hoffnung ist die positive Erwartungshaltung, dass etwas Wünschenswertes eintreten wird – unabhängig davon, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass dies auch tatsächlich geschieht.
Und genau hier gibt es große Unterschiede zwischen den Menschen.
Jan mit ausgeprägt geringer positiver Erwartungshaltung meinte in einer seiner Sitzungen zum Beispiel: „Ich halte mich zwar für fähig, ein dreigängiges Menü für meine Gäste zuzubereiten, gehe aber nicht davon aus, dass es ihnen schmecken wird und sie es wertschätzen werden.“
Sophie dagegen hat häufig typisch hoffnungsvolle Gedanken. Wenn sie auf eine Party geht, so sagte sie, hat sie davor meist Gedanken wie diese: „Ich habe zwar keine Ahnung, wer da alles auftauchen wird, aber ich freue mich schon vorher darauf und hoffe immer, dass es ein guter Abend wird.“
Diese hoffnungsvolle Grundhaltung ist ein wichtiger Faktor für eine hohe Resilienz. Der Begriff Resilienz steht für die Fähigkeit, mit den Widrigkeiten des Lebens gut umgehen zu können. Wer resilient ist, verfügt über innere Stärke und Widerstandskraft, auch mit den widrigsten äußeren Lebensumständen gut umgehen zu können, ohne daran zu zerbrechen: Wer über eine hohe Resilienz verfügt, ist sogar in der Lage, auch schwere Krankheiten ohne anhaltende Beeinträchtigungen zu überwinden.
In der Fähigkeit, selbst in schwierigen Situationen die Hoffnung nicht zu verlieren, liegt auch das Potenzial, mit höherer Wahrscheinlichkeit die eigenen Ziele zu erreichen.
Hoffnungsvolle Menschen konzentrieren sich in der Regel mehr und besser auf ihre Ziele. Wenn Hindernisse auf dem Weg zum Ziel auftauchen, lassen sie sich nicht so schnell entmutigen. Sie reagieren dann eher wie ein Navigationsgerät, das bei Blockaden auf der ursprünglich berechneten Route freundlich verkündet: „Es sind Verkehrshindernisse aufgetreten – die Route wird neu berechnet.“ Hoffnungsvolle Menschen suchen bei Schwierigkeiten, ohne zu zögern kurzerhand nach alternativen Wegen, doch noch ihr Ziel zu erreichen.
Sophie konnte das für sich bestätigen. Während ihrer Ausbildung hatte sie immer wieder Phasen, in denen sie, wie sie meinte, „völlig im Nebel“ stand. Sie sagte sich dann: „Ich verstehe es im Moment zwar nicht – aber ich bin zuversichtlich, dass mir früher oder später noch klar wird, wie das geht.“
Hoffnungslose Personen wie Jan dagegen schalten in solchen Situationen eher ihr Negativprogramm ein: „Ich wusste ja, dass das nichts wird.“ Neue Lösungswege zu finden, wird dadurch natürlich deutlich erschwert. Entsprechend geben diese Menschen auch häufiger und schneller ihre konsequente Zielverfolgung auf.
Hoffnung ist eine Kraft, die dir hilft, dich auf die Zukunft zuzubewegen. Hoffnung geht davon aus, dass es eine Zukunft geben wird. Und Vaclav Havel geht sogar so weit zu sagen, dass diese Zukunft nicht zwangsläufig genauso sein muss, wie ich sie mir vorstelle. Sein Blick geht sehr tief, wenn er sagt: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Wenn deine Hoffnung auch darin liegen kann, dass etwas möglicherweise dennoch sinnhaft ist, selbst wenn es anders kommt, als du es dir wünschst, dann hast du bereits einen weiteren bedeutsamen Faktor in deinem Leben, der dir zu Resilienz verhilft, mit welcher Lebenssituation auch immer du konfrontiert sein wirst: die Sinnhaftigkeit.
Hoffnung, Zuversicht, Sinnhaftigkeit wahrhaftig empfinden zu können, sind tatsächlich drei wesentliche Säulen der Resilienz.
Die amerikanische Psychologenvereinigung APA weist ausdrücklich darauf hin, dass Resilienz kein Persönlichkeitsmerkmal ist, also nicht etwas, das Menschen entweder haben oder nicht haben. Wenn du meinst „von Natur aus“ wenig hoffnungsvoll zu sein, erlaube dir doch einfach – nicht immer, aber immer öfter – deren bewährte hilfreiche Tipps zur Förderung deiner Resilienz anzuwenden:
Der APA zufolge lässt sich Resilienz – also Hoffnung, Zuversicht und Sinnhaftigkeitserleben – durch folgende Verhaltens- und Einstellungshinweise entwickeln:
1. Baue soziale Kontakte auf.
2. Sehe Krisen nicht als unlösbare Probleme an, sondern als Herausforderungen.
3. Akzeptiere, dass Veränderungen zum Leben gehören.
4. Versuche immer, deine dir wichtigen Ziele zu erreichen.
5. Handle entschlossen.
6. Finde zu dir selbst.
7. Entwickle eine positive Sicht auf dich selbst.
8. Behalte die Zukunft im Auge.
9. Erwarte in jeder Situation das Beste.
10. Sorge gut für dich selbst.
Never give up…
Ja, gib niemals auf. Auch wenn du meinst, keine Chance zu haben – nutze sie; und anstatt deine Träume aufzugeben, gib lieber deine Zweifel auf. Oder, um es mit Brother David Steindl zu sagen:
Die Hoffnung, die übrigbleibt, wenn alle Hoffnungen verschwunden sind - das ist die reine Hoffnung, die im Herzen verwurzelt ist.
Dein
Gert Kowarowsky
Alle Beiträge der Kolumne "Erfahrungen aus der Praxis" und mehr über den Autor und Psychotherapeuten Gert Kowarowsky findest du hier.
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